Magneteisenstein - der "Leitstein"

Die Übersetzung des englischen loadstone (in "De Magnete") bzw. heute lodestone führt auf das althochdeutsche Wort leithan für führen oder leiten. Vergleiche auch engl. lodestar - der Leitstern, Polarstern. Die Leitsteine des Altertums waren natürliche Magneteisensteine (Anmerkung des Übersetzers).
Was wäre, wenn keine Magneteisensteine existiert hätten? Die alten Chinesen hätten ganz sicher nicht den magnetischen Kompaß erfunden. Magnetismus wäre generell sehr viel später entdeckt worden, und man fragt sich, wie überhaupt. Ohne den Kompaß wären die großen Entdeckungsfahrten kaum möglich gewesen: -- Kolumbus, Da Gama, Magellan und all die anderen. Die Weltgeschichte wäre doch ziemlich anders verlaufen! 

Chemisch und mineralogisch ist der Magneteisenstein eine Form von  Magnetit, einem massiven Eisenerz und Eisenoxid, einem Mineral ganz ähnlich dem braunen Zeug, mit dem heute Magnetbänder und Disketten beschichtet sind. Magnetit kommt recht häufig in der Natur vor, Magneteisenstein ist hingegen relativ selten. Warum sind einige ausgesuchte Stücke anders als der Rest? 

Blitzeinschlag im 
Langmuir Laboratorium
Dr. Peter Wasilewski, vom Goddard Space Flight Center der NASA gibt folgende Antwort:

Zunächst muß man wissen, daß nicht jeder Magnetit zu Magneteisenstein  werden kann. Eine besondere Zusammensetzung und Kristallstruktur sind notwendig. Doch selbst dann würde das Verweilen im Erdmagnetfeld über Millionen von Jahren keine Magnetisierung hervorrufen. Dazu muß ein starkes Magnetfeld von außen wirken. Dieses magnetisierende Feld muß nicht lange anhalten - wie Disketten oder Videobänder beweisen, die sehr schnell am Aufnahmeknopf vorübergleiten. Die Stärke des magnetisierenden Feldes muß jedoch ein gewisses Minimum überschreiten. 


Dr. Wasilewski glaubt, daß dies geschieht, wenn ein Klumpen eines geeigneten Erzes vom Blitz getroffen wird. Blitzschläge sind Entladungen von atmosphärischer Elektrizität in den Wolken. Nur Bruchteile von Sekunden fließen dabei gewaltige Ströme, die zeitweilig sehr starke magnetische Felder hervorrufen. 

Diese Idee wurde getestet und zwar in einer einzigartigen Einrichtung des New Mexico Institute of Technology, dem Langmuir Laboratorium. Dieses Labor, ein Zentrum der Gewitterforschung, liegt auf dem Gipfel des Berges South Baldy nahe Soccorro im US Bundesstaat New Mexico, wo besonders viele Blitze einschlagen. Indem er Mineralproben gezielt Blitzschlägen aussetzte, konnte Dr. Wasilewski aus Magnetit mit geeigneter Kristallstruktur natürlichen Magneteisenstein gewinnen. 

William Gilbert war auf dem richtigen Wege, doch verständlicherweise mißdeutete er die Zusammenhänge bei der Erklärung der Ursachen des natürlichen Magnetismus. In "De Magnete" zitierte er die folgende Passage aus einem Buch, das in Italien erschienen war: 

    "Ein Drogist zu Mantua zeigte mir ein Stück Eisen, das vollständig in einen Magneten verwandelt worden war und ein anderes Eisenstück anzog, ganz so, wie dies ein vergleichbarer Magnet auch tut. Nun war dieses Stück Eisen, da es lange Zeit ein steinernes Ornament an der Turmspitze von St. Augustine in Rimini gehalten hatte, mit der Zeit vom Winde verbogen worden, und es blieb auch so für eine Spanne von zehn Jahren. Als die Mönche es wieder in seine in seine ursprüngliche Form zuzrück biegen wollten und es einem Schmied übergaben, entdeckte ein Bader namens Meister Giulio Caesare, daß es magnetisch war und Eisen anzog. "
Mit unsrem heutigen Wissen würden wir vermuten, daß der Kirchturm Blitzschlägen ausgesetzt war, was zur Magnetisierung des Eisens führte. Gilbert jedoch schrieb dies der langen Zeit zu, die das Eisenteil dem Erdmagnetfeld ausgesetzt war: "durch die Biegung seiner Enden zu den Polen, für eine so lange Zeit." 

Magnetisierung durch Schmieden 

Gilbert beobachtete auch, daß Eisen magnetische Eigenschaften gewinnen konnte, wenn es geschmiedet wurde: 
    "Denn als wenn ein Kind aus seiner Mutter Schoß ans Tageslicht gebracht wird und die Atmung erhält und einige andere Lebensäußerungen.... so wird das Stück Eisen ... wenn es von seinem erhitzten Zustand zu seiner vorherigen Temperatur zurückkehrte, mit einer gewissen Vertizität erfüllt, je nach seiner Lage."
"Vertizität" meint hier Magnetisierung. Die Beobachtung ist ziemlich zutreffend: oberhalb einer gewissen Temperatur (dem "Curie Punkt") verliert Eisen all seine Magnetisierung; wenn es aber wieder unter diese Temperatur abgekühlt wird, so  "friert es" die Magnetisierungsrichtung seiner Umgebung, z.B. die des Erdmagnetfeldes, in seinem Inneren ein. Seine "Vertizität" ist jedoch nirgendwo so stark wie die durch Blitzschlag erzeugte. Darüberhinaus wird die Magnetisierung  (durch Schmieden) von langen Eisenstäben kanalisiert, so daß an deren Enden merkliche Pole entstehen - so beobachtete Gilbert. 

"Eingefrorener" Magnetismus, der entsteht wenn bestimmte heiße Materialien sich in Gegenwart des Erdmagnetfeldes abkühlen, hat eine wichtige Rolle bei der Entdeckung der Plattentektonik gespielt, wie in einem späteren Abschnitt dieser Webseite erläutert wird. Ähnliche Abkühlungsprozesse können auch für die magnetischen Fleckenmuster verantwortlich sein, die man auf der Oberfläche des Mars und des Mondes entdeckt hat. 


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Autor und Kurator:   Dr. David P. Stern
     E-mail an Dr.Stern:   earthmag("at" symbol)phy6.org

Deutsche Bearbeitung: Sven Friedel, Universität Leipzig
Letzte Änderung 17. September 2001